Urspr. KapitelNr. 700
1
"Suleika will mit Dir reden!" Ich versuchte mich zu konzentrieren und schob die Whisky-Falsche weg: "Was will die gute Dame denn - von - mir?" Ich merkte, dass mir mein Sprechapparat nicht mehr ganz gehorchte: "Sie sagt, es sei dringend!" "Dann soll sie doch rüberkommen - rüberkommen aus dem Saloon in mein Bü - hicks - Büro! Sag - sag ihr das mal, Joe!" "Scheriff, wir SIND im Saloon!" Ich überlegte: "Im Sa - Saloon?" mühsam drehte ich den Kopf, und sag die ganzen Farmer und Cowboys an den anderen Tischen, und hörte das Geklimper am Klavier und das Gejohle der Gäste, "Im - im Saloon bin ich.. Ja - ja, das könnte hinkommen, Joe!"
Joe packte mich an meinem Gürtel und wuchtete mich hoch. Dann nahm er einen meiner Arme über seine Schulter und zog mich Richtung Tresen. "Das - das schaff ich schon allein!" nuschelte ich, aber Joe sagte: "LIeber nicht!"
An der Bar griff er sich ein paar Eisbrocken aus einer Schüssel, die der Barkeeper heute morgen vom Chesterton-Lake geholt hatte, und steckte mir sie vorne und am Rücken in den Hemdkragen.
Im Nu war ich hell wach - und mein Entsetzensschrei, als mir die Eisstückchen Brust und Rücken hinunterrutschten, brachte die versammelte Mannschaft im Saloon für einen winzigen Moment zum Verstummen. Aber nur für eine Millisekunde. Dann lachten alle, als sie kapierten, was passiert war; die Revolver, die einige bei meinem Schrei blitzschnell gezogen hatten, wurden wieder weggesteckt; der Pianist langte wieder kräftig in die Tasten, und der Lärm der munteren Gesellschaft drang durch die angelehnte Saloontüre in die eiskalte Winternacht.
"Setz Dich!" sagte Suleika zu mir, als ich - mit Unterstützung von Joe - die Treppe in den ersten Stock geschafft hatte und in Suleikas Privatsalon stand.
"Du hast mal wieder viel zu viel getrunken!" schalt mich Suleika, die mich - aufgrund gewisser Vorkommnisse und aufgrund einer ebenso gewissen, langjährigen Geschäftsbeziehung - duzte: "Du weißt doch, dass Dir das nicht gut tut! Kannst Du wenigstens klar denken und zuhören?"
"Ich hab mit ein paar Brocken Eis nachgeholfen!" sagte Joe.
"Na dann ist es ja gut!" sagte Suleika."Also, hör mal: Eines meiner Mädchen hatte heute Abend einen Fremden bei sich im Bett. Einen jungen Burschen, nicht übel - aber das nur nebenbei. Jedenfalls hat er etwas geprahlt und geplaudert. Und so wie´s aussieht, kriegen wir hier in Rockbottom-Gulch in den nächsten Tagen ziemlich Ärger!"
Ich schüttelte den Kopf, um die letzten Reste Watte aus meinen Gehirnwindungen zu vertreiben: "Was soll passieren?"
"Offenbar steckt draußen, ein paar Meilen von hier, ein verspäteter Siedlertreck in einigen Schneewehen fest.."
"Und weiter?"
"Die haben wohl ein par halbverhungerte Indianer bei sich, die sie unterwegs, am Blackriver-Pass, aufgelesen haben. "
"Das ist freilich ungewöhnlich! Und weiter?"
"So ist es auch. Es gibt auch einen Grund, dass die Siedler den Indianern geholfen haben: Einer von denen, ein Alter, hat mit einem Säckchen Goldnuggets fürs Mitnehmen bezahlt - -"
"Nuggets!" ich pfiff durch die Zähne.
"Das ist noch nicht alles. Beim Treck befanden sich zwei, drei von Habecks Leuten!"
"Teufel auch!" sagte ich "Wenn Habeck das erfährt, kennt er keine Skrupel!"
"Hat er schon! Denn seine Leute sind vorausgeritten, um Hilfe für den eingeschneiten Treck zu holen. Zuerst sind sie zu Habeck, dann zu Dir - aber Du warst ja nicht in Deinem Büro - und dann haben sie sich´im Saloon und bei meinen Mädchen gemütlich gemacht!"
"Es geht doch nicht über eine anständige Plaudertasche!" Ich nahm Suleikas Kopf in meine Hände und gab ihr einen Kuss: "Ich danke Dir - dann werden wir die Sache mal in die Hand nehmen. Joe, wir gehen ins Büro rüber und Du trommelst den Hilfstrupp zusammen!"
"Seid vorsichtig!" rief Suleika hinterher, als Joe und ich die Treppe hinunter gingen. Joe tippte auf dem Weg durch den Saloon einige unserer Leute an, von denen die meisten nach kurzer Diskussion aufstanden und uns zur Tür des Saloons folgten: "Wir treffen uns in einer Stunde vor meinem Büro! Mit Pferden, Zugschlitten, Schaufeln und Decken. Und vergesst Eure Gewehre nicht, es könnte ungemütlich werden!"
2
Als wir ankamen, waren alle tot. Je mehr die Morgendämmerung die Nacht vertrieb, desto schlimmer schien uns das Ausmaß dessen, was dort stattgefunden hatte: Die eingeschneiten Wagen zeichneten sich kaum über dem Schnee ab. Um die Wagen herum ragten Teile gefrorener Körper, Arme, Beine, aus dem Schnee. Als wir die Wagen freigeschaufelt hatten, bot sich uns ein schreckliches Bild: Frauen und Kinder lagen übereinander, erschossen, erstochen, die Kehlen durchgeschnitten. Hier war niemandem mehr zu helfen. Die Indianer allerdings waren verschwunden.
"Wenn es sie denn je gegeben hat -" sinnierte Joe, als wir vor einem der ausgegrabenen Wagen standen: "Die einzigen Zeugen, die wir haben, sind die zwei zwielichte Gestalten aus Habecks Truppe. Was, wenn Habecks Leute den Treck ausgeplündert und die Leute erschlagen haben. Und es gar keine Indianer gab? Was meinst Du, Scheriff?"
Joe blickte zu mir herüber und ich wiegte den Kopf. "Packt die Toten auf die Schlitten! Durchsucht die Wagen und packt zusammen, was Euch wichtig erscheint!" sagte ich zu den Männern, die um uns herumstanden. Tassen mit heißem Kaffee in den Händen, den einer von ihnen über einem schnell entzündeten Feuer aufgekocht hatte. Ich leerte meine Tasse mit einem Schluck.
Der Kaffee war stark und der letzte Schluck spülte eine Handvoll Kaffeesatz zwischen meine Zähne. Ich spuckte aus. Die Männer gingen an die Arbeit, aber es dauerte eine ganze Weile, und es war schon fast Mittag, als wir fertig waren.
"Wo bleibt Joe?" wollte Sam von mir wissen. "Ich habe ihn mit zwei Männern auf Streife geschickt. Er reitete einen großen Bogen; auf beiden Seiten bis zu den Waldrändern dort drüben. Vielleicht findet er dort, wo die Bäume den Schnee vom Boden zurück halten, verwertbare Spuren.."
Aber er fand keine.
3
Es dauerte lange, bis wir in Rockbottom Gulch zurück waren. Die schwer beladenen Lastschlitten bewegten sich nur zäh durch den Schnee. Spätnachts kam Suleika in mein Büro, in den Händen einen Korb mit Essen: "Iss was!" sie füllte mir einen Teller und beugte sich zu mir herüber: "Was liest Du da?" fragte sie und zeigte auf das dicke aufgeschlagene Kassiber voller Listen und Geschriebenem. "Das ist das Treckführer-Buch mit den Einträgen und Notizen des Treckführers. Archibald Bratt[l]er heißt er." "Gibt es auch eine Liste mit Namen?" "Klar, hier, ganz am Anfang, auf der ersten Seite". Ich blätterte hin: Dort standen 27 Namen verzeichnet. Vier waren durchgestrichen und mit der Bemerkung "verst." versehen. "Dann waren es also noch 23, die da umgekommen sind!" "Wir haben aber nur 18 Tote auf den Schlitten gepackt!" warf Joe ein.
Währenddessen zeigte Suleika mit Anzeichen von höchster Beunruhigung auf drei Namen auf der Liste: "Michael, Anna und Eireen Tanner" las ich laut vor: "Was ist mit ihnen?" "So heißen die Kinder meiner Schwester!" sagte Suleika zu mir und sah plötzlich ziemlich blass aus.
E N D E